Sie träumen davon, arbeiten zu dürfen | |

BORCHEN (WV). Als Kalle Lüke
2014 einige Afrikaner auf
dem Dorffest im Borchener
Ortsteil Alfen traf und mit ihnen ins Gespräch kam, wusste er: „Wir müssen ihnen ein
Gesicht geben.“ Es war die
Geburtsstunde der Flüchtlingshilfe Borchen (Flübo). Mittlerweile kümmern sich
Lüke und 20 Ehrenamtliche
um die zehn Asylbewerber,
die in der Unterkunft in Alfen
leben. Sie bringen ihnen
nicht nur Deutsch bei, sondern helfen auch bei Anträgen und Jobsuche. Dabei ist
vor allem Geduld gefragt.
Im Fall Adamar Mbguenue
hat der Verein sich jetzt hilfesuchend an Bürgermeister
Uwe Gockel und den Kreis
Paderborn gewandt, um ihm
eine Praktikumsstelle mit
Ausbildungsmöglichkeit zu
verschaffen.
Adamar Mbguenue – Rufname Adamar – stammt aus
dem Senegal und ist 2018
nach Deutschland geflohen.
Sein Asylantrag wurde abgelehnt, da der Senegal als sicheres Herkunftsland gilt, erläutert Lüke: „Unruhen im
Land zählen nicht als Grund.
Aber jeder, der geflüchtet ist,
hatte einen Grunddafür.“
Adamar möchte arbeiten
und sich integrieren. Doch
das ist gar nicht so einfach:
„Geduldete Flüchtlinge haben ein Arbeitsverbot. Und
an staatlich geförderten
Sprachkursen dürfen sie
auch nicht teilnehmen“, sagt
Lüke. Das mit der Sprache hat
Adamar dank der unermüdlichen Unterstützungder Flübo-Ehrenamtlichen auch ohne offiziellen Kursus ganz gut
hinbekommen – zumindest
die Grundlagen. Noch heute
übt Agnes Meyer-Frankenfeld täglich mit dem 40-Jährigen.
Auch Arbeitserfahrung hat
er schon gesammelt: Mehrere
Jahre war Adamar als EinEuro-Jobber beim Bauhof
der Gemeinde Borchen. Bürgermeister Uwe Gockel beschreibt ihn als „überaus fleißig, vertrauenswürdig und
sehr beliebt.“
Beliebtist der Mann mit der
positiven Ausstrahlung auch
bei den Bewohnern eines Seniorenheims in Paderborn, in
dem er ein unentgeltliches
Praktikum gemacht hat. Er
hätte am liebsten direkt eine
Ausbildung angeschlossen:
„Ich mag die alten Leute sehr
gerne. Jedes zweite Wochenende gehe ich hin und helfe.“
Alles unentgeltlich. Da er aufgrund seines Status keine
Arbeitserlaubnis hat. Deswegen wurde aus der Ausbildung nichts.
Die Flübo fand für ihn zwei
potenzielle Ausbildungsstellen in Handwerksbetrieben.
„Aber die Arbeitgeber möchten ihn natürlich bei einem
Praktikum kennenlernen.
Das hat das Ausländeramt
nicht gestattet“, erzählt Marianne Hartmann und klingt
ernüchtert: „Es herrscht doch
Fachkräftemangel.“
Adamar ist kein Einzelfall.
In der Unterkunft in Alfen leben zehn Männer, von denen
einer eine Aufenthaltsgenehmigung hat, drei geduldet
sind und bei sechs Männern
das Verfahren noch läuft.
Einer mit einer solchen Aufenthaltsgestattung ist Reda
Mohammed. Der 40-Jährige
ist vor vier Jahren aus Ägypten geflohen und hat in Borchen eine neue Heimat gefunden: „In Alfen sind viele
netteLeute. Ich gehe viel spazieren. Alle Leutesagen hallo,
lachen und sind respektvoll“,
erzählt er.
Deutsch versteht und
spricht er mittlerweile immer
besser. „Die Frauen der
Flüchtlingshilfe sind eine
große Hilfe. Ohne sie würde
es nicht gehen“, sagt er und
freut sich über jeden Sprachkontakt. Seit einigen Tagen
arbeitet er als Schweißer bei
einem Paderborner Unternehmen. „Möglich macht das
eine begrenzte Arbeitserlaubnis ausMünster, die in
diesem Fall zuständig sind“,
erzählt Marianne Hartmann.
Sie hofft, dass diese Arbeitserlaubnis verlängert werden
kann,wenn sie ausläuft.
Einer, der vom neuen
Chancen-Aufenthaltsrecht
der Bundesregierung profitieren könnte, ist Boubacar
Balde. Der Mann aus Guinea
ist bereits seit sechs Jahren in
Europa und davon mehrere
Jahre in Deutschland, sagt
Kalle Lüke. Der 34-Jährige
war Lastwagenfahrer in Lybien, bevor er über das Mittelmeer floh, erzählt Lüke
und schildert dessen Flucht:
„Boubacar musste aus Seenot
gerettet werden, kamnachSizilien in ein Lager, dann ging
es für ihn mit dem Zug in die
Schweiz und weiter nach
Deutschland.“ Aus panischer
Angst vor Abschiebung sei er
nach Frankreich geflohen,
von dort aber wieder nach
Deutschland gekommen und
schlussendlich in Alfen gelandet. „Er warvöllig traumatisiert. Hier hat er erstmals
Menschen erlebt, die ihn als
Menschen sehen und behandeln und nicht als Nummer“,
sagtMarianne Hartmann.
Bei dem neuen ChancenAufenthaltsrecht erhalten
langjährige Geduldete, die
mindestens fünf Jahre in
Deutschland sind, eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung und dadurch die Möglichkeit, die nötigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht
zu erfüllen.Dazu gehören die
Sicherung des Lebensunterhalts und die Klärung der
Identität. Sie dürfen dann
auch an offiziellen Sprachund Integrationskursen teilnehmen.
Boubacar Balde hatmittlerweile einen Deutschkursus
beim Bildungswerk Invia Paderborn gemacht und möchte arbeiten: „Das ist mein großer Traum.“
Im Fall von Adamar
Mbguenue gibt es die Hoffnung, dass das Praktikum
und eine Ausbildungklappen
könnten, wie Bürgermeister
Uwe Gockel auf Anfrage berichtet: „Wir hatten ein Gespräch über die allgemeine
Situation mit der Flübo und
Pfarrerin SabineSarpe. Dabei
ging es auch um den Fall Adamar.“ Gockel versteht nicht,
warum ein Praktikum nicht
möglich sein soll: „Wir versuchen alles, um die Menschen
in Arbeit zu bringen und wir
habensoviele positiveErfahrungen gesammelt. Es kann
nichtsein, dass er keinPraktikummachen kann.“
Uwe Gockel sicherte zu,
sich in diesem Fall mit dem
Ausländeramt desKreisesabzustimmen. Das ist mittlerweile erfolgt. „Es gibt eine gute Perspektive, dass Adamar
das Praktikum ermöglicht
werden kann“,sagtGockel. Es
fehlten noch Unterlagen, die
er nachreichenmüsse.
Auf Anfrage teilte der Kreis
Paderborn mit, dass aufgrund des laufenden Verfahrens keine detaillierten Auskünfte gegeben werden können: „Der Kreis Paderborn ist
immer gewillt, eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Dabei ist er natürlich an
Rechte und Vorgaben gebunden. In diesem Fall hat der
Kreis Paderborn bereits ein
Angebot an den Betroffenen
gemacht. Dieser ist nun am
Zuge zu reagieren“, teiltKreissprecherin Lea Laven mit.